"Niemand sollte so etwas erleben müssen"

Für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) ist im Bürgerkriegsland Syrien vor allem die Nähe zu den Opfern wichtig.

Mohammad war sechs Jahre alt, als er zum Flüchtling wurde. Mit acht zog er sich bei einem Unfall schwere Verbrennungen zu. Seit er im Traumatologie-Zentrum des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) im Libanon behandelt wird, denkt er wieder an die Zukunft. Sein größter Wunsch ist, selbst Arzt zu werden, damit er zuhause in Syrien den Menschen helfen kann. In Mohammads Heimatland Syrien wird medizinische Hilfe tatsächlich dringend gebraucht. Ohne Rücksicht auf die Genfer Konventionen werden Spitäler und medizinische Einrichtungen bombardiert, Strom und Wasser fehlen und die Versorgung mit Medikamenten ist vielerorts fast unmöglich.

"Kein Erwachsener und schon gar kein Kind sollte so etwas erleben müssen. Die Menschen versuchen unter den widrigsten Umständen zu überleben", schildert die IKRK-Delegationsleiterin Marianne Gasser die Situation in Aleppo. "Wassersysteme, Spitäler, Rettungsstationen und Lagerhäuser werden zerstört. Ärzte und medizinisches Personal arbeiten rund um die Uhr, um Verletzte zu versorgen." Das Leid der Zivilbevölkerung ist auch außerhalb Aleppos enorm. "Neben der direkten Bedrohung durch die Kampfhandlungen verschärft das Fehlen von Wasser und Strom die Situation dramatisch", warnt Walter Hajek, Leiter der Internationalen Zusammenarbeit beim Österreichischen Roten Kreuz (ÖRK). "Wir brauchen regelmäßige Feuerpausen, um die leidenden Menschen versorgen zu können." Jeder Hilfslieferung gehen zermürbende Verhandlungen mit den Kriegsparteien voraus.

Das IKRK ist gemeinsam mit dem Syrisch-Arabischen Roten Halbmond (SARC) eine der wenigen Hilfsorganisationen, die in Syrien aktiv ist. Die syrische Rotkreuz-Gesellschaft betreibt Spitäler, die mit Hilfe des IKRK mit Medikamenten und medizinischem Material beliefert werden. Über 111.000 Patienten konnten dadurch versorgt werden. Mobile Kliniken sind, so gut es geht, im Land unterwegs und erreichten im Vorjahr 60.000 Patienten. Auch das Rettungswesen funktioniert nur durch das nimmermüde Engagement von SARC-Freiwilligen, die dabei nicht selten das eigene Leben riskieren.

Unterstützung dafür kommt auch aus Österreich. Die Bundesregierung unterstützt über die Austrian Development Agency (ADA) die Rotkreuz-Hilfsaktivitäten in Syrien. Für Gesundheitsprogramme gingen zwei Millionen Euro an die Föderation und eine Million Euro an das IKRK. 350.000 Euro erhielt das ÖRK für Nahrungsmittel, die im Raum Aleppo verteilt wurden. Von Jänner bis Juni 2016 erreichten Hilfskonvois des IKRK und des SARC in 22 Transporten belagerte und schwer zugängliche Regionen. Für 650.000 Menschen hat sich dadurch der Zugang zu Gesundheitseinrichtungen verbessert. 251.000 Menschen wurden mit Lebensmitteln, medizinischen Gütern und Hygienematerial versorgt.

Neben der tatsächlichen Hilfe in Form von Medikamenten und Nahrungsmitteln stärkt die Präsenz der Hilfsorganisationen die Bevölkerung, wie Marianne Gasser berichtet: "Ein Moment in Madaya hat mich besonders bewegt. Eine Frau kam auf mich zu, sie lächelte. Ich dachte, sie wäre einfach froh über die Hilfe, die wir gebracht haben. Ich habe mich getäuscht. Sie flüsterte mir zu: 'Indem ihr mit uns gesprochen habt, euch an uns erinnert habt, habt ihr uns etwas zurückgegeben: unsere Würde. Danke.'